Flug ins „Tschernobyl des Nordens“
Noch vor Weihnachten soll Uran ?ber den Luftweg von Dresden nach Russland transportiert werden
Noch vor Weihnachten sollen vom Dresdner Flughafen 200 Kilogramm hoch angereichertes und 100 Kilogramm schwach angereichertes Uran nach Russland ausgeflogen werden. Das Material stammt aus dem Forschungsreaktor Rossendorf, zwischengelagert werden soll es in Podolsk, 40 Kilometer s?dlich von Moskau. Wann der Transport stattfindet, wurde aus Sicherheitsgr?nden bisher nicht mitgeteilt.
Wladimir Slivjak von der russischen Umweltschutzorganisation Ecodefense kritisiert den geplanten Transport. Die Operation sei „sehr teuer». Au?erdem k?nne man nicht ausschlie?en, dass das Material in die H?nde von Terroristen gelange oder das Flugzeug verungl?cke. „Dann w?rde ein gro?es Territorium verseucht. Viele Menschen m?ssten evakuiert werden.» Slivjak meint, man solle das Uran lieber in Deutschland lassen, wo die Sicherheit in Atomanlagen „besser als in Russland» gew?hrleistet sei.
Der Forschungsreaktor Rossendorf wurde 1957 in Betrieb genommen und 1991 abgeschaltet. W?hrend dieser Zeit wurde Uran-Brennstoff, den man aus der Sowjetunion bezog, zu Forschungszwecken bestrahlt. Nach monatelangem juristischen Streit wurden im vergangenen Jahr bereits 18 Castoren mit insgesamt 951 Brennst?ben in das Zwischenlager Ahaus gebracht.
F?r die russische Regierung ist der Transport aus Dresden unproblematisch. Russland will in den n?chsten 30 Jahren 40 neue Atomkraftwerke bauen und ist an der Zusammenarbeit mit Deutschland auf atomarem Gebiet sehr interessiert. Nach Angaben der russischen Umweltschutzorganisation Ecodefense werden j?hrlich 3 000 bis 4 000 Tonnen Uranhexafluorid aus Deutschland per Schiff und Bahn nach Russland gebracht. Drei- bis viermal j?hrlich rollen die Z?ge mit jeweils 100 Waggons zu sibirischen Chemiekombinaten. Zielorte sind die St?dte Angarsk, Nowouralsk und Sewersk.
Aus Sorge vor den wachsenden Halden mit radioaktiven Abf?llen und einer Verseuchung des Baikal-Sees — er liegt nur 100 Kilometer vom Chemiekombinat Angarsk entfernt — demonstrierten Anfang Dezember 250 Umweltsch?tzer in der Baikal-Stadt Irkutsk gegen die Atom-Importe aus Deutschland und die Pl?ne der russischen Regierung, das Chemiekombinat von Angarsk zur internationalen Uran-Anreicherungsfabrik auszubauen.
Das nach Russland gelieferte Uranhexafluorid stammt aus einer Anreicherungsanlage im westf?lischen Gronau, wo es als Arbeitsmedium bei der Anreicherung eingesetzt wird. Von dem in Angarsk angelieferten Uranhexafluorid w?rden nur zehn Prozent als angereichertes Uran wieder zur?ck nach Deutschland geschickt, erkl?rt Wladimir Slivjak. Der Rest lagere in Angarsk. Russland, so der Umweltsch?tzer, bekomme f?r die Lagerung keinen Cent.
Uranhexafluorid ist nach Angaben der Urenco, dem Betreiber der Anreicherungsanlage in Gronau, nur schwach radioaktiv. Nach Meinung des Unternehmens handelt es sich bei dem Material nicht um atomaren Abfall, sondern um einen „Wertstoff» — eine Klassifizierung, mit der das Unternehmen deutschen und russischen Umweltsch?tzern zufolge das russische Importverbot f?r Atomm?ll umgehe.
Zur Hilfe aus dem Ausland gibt es jedoch auch skeptische Stimmen. Der bekannte Umweltsch?tzer Aleksandr Nikitin bem?ngelt, dass man keinen Einblick in die Unterlagen habe. Ein Teil der Gelder aus Deutschland w?rden von russischen Beamten unterschlagen, bef?rchtet er.
MDZ 2006-12-18