15.04.2007

Flug ins „Tschernobyl des Nordens“

Автор: Discover Baikal

Noch vor Weihnachten soll Uran ?ber den Luftweg von Dresden nach Russland transportiert werden

Noch vor Weihnachten sollen vom Dresdner Flughafen 200 Kilogramm hoch angereichertes und 100 Kilogramm schwach angereichertes Uran nach Russland ausgeflogen werden. Das Material stammt aus dem Forschungsreaktor Rossendorf, zwischengelagert werden soll es in Podolsk, 40 Kilometer s?dlich von Moskau. Wann der Transport stattfindet, wurde aus Sicherheitsgr?nden bisher nicht mitgeteilt.

Das Bundesamt f?r Strahlenschutz teilte mit, „dass selbst bei einem Flugzeugabsturz das zu transportierende Inventar nicht kritisch» werde und „der erforderliche Schutz der Bev?lkerung gegen?ber radiologischen Auswirkungen gegeben» sei. Zwischen 1990 und 2005 seien bereits sieben Fl?ge mit hoch angereichertem Uran an Bord genehmigt worden. Dabei sei es meist um den Transport von nuklearem Material in deutsche Forschungszentren gegangen.

Das schwach radioaktive Material aus Rossendorf — es handelt sich um Brennst?be und so genannte Pellets — wird in 18 Spezialbeh?ltern zum Dresdner Flughafen gebracht. Von dort fliegt es eine russische Transportmaschine nach Russland. Kosten: eine Million Euro.

Wladimir Slivjak von der russischen Umweltschutzorganisation Ecodefense kritisiert den geplanten Transport. Die Operation sei „sehr teuer». Au?erdem k?nne man nicht ausschlie?en, dass das Material in die H?nde von Terroristen gelange oder das Flugzeug verungl?cke. „Dann w?rde ein gro?es Territorium verseucht. Viele Menschen m?ssten evakuiert werden.» Slivjak meint, man solle das Uran lieber in Deutschland lassen, wo die Sicherheit in Atomanlagen „besser als in Russland» gew?hrleistet sei.

Das s?chsische Wirtschaftsministerium verspricht sich von der R?ckf?hrung des Urans nach Russland die Einstufung der Anlage in Rossendorf in eine niedrigere Sicherheitskategorie. Zurzeit gibt das Bundesland f?r die Bewachung des radioaktiven Materials pro Monat 92 000 Euro aus. Nach der R?ckf?hrung verbleiben in Rossendorf 4,5 Tonnen Uran in nat?rlicher Zusammensetzung, eine kleinere Menge abgereicherten Urans sowie 9,7 Gramm Plutonium.

Der Forschungsreaktor Rossendorf wurde 1957 in Betrieb genommen und 1991 abgeschaltet. W?hrend dieser Zeit wurde Uran-Brennstoff, den man aus der Sowjetunion bezog, zu Forschungszwecken bestrahlt. Nach monatelangem juristischen Streit wurden im vergangenen Jahr bereits 18 Castoren mit insgesamt 951 Brennst?ben in das Zwischenlager Ahaus gebracht.

F?r die russische Regierung ist der Transport aus Dresden unproblematisch. Russland will in den n?chsten 30 Jahren 40 neue Atomkraftwerke bauen und ist an der Zusammenarbeit mit Deutschland auf atomarem Gebiet sehr interessiert. Nach Angaben der russischen Umweltschutzorganisation Ecodefense werden j?hrlich 3 000 bis 4 000 Tonnen Uranhexafluorid aus Deutschland per Schiff und Bahn nach Russland gebracht. Drei- bis viermal j?hrlich rollen die Z?ge mit jeweils 100 Waggons zu sibirischen Chemiekombinaten. Zielorte sind die St?dte Angarsk, Nowouralsk und Sewersk.

Aus Sorge vor den wachsenden Halden mit radioaktiven Abf?llen und einer Verseuchung des Baikal-Sees — er liegt nur 100 Kilometer vom Chemiekombinat Angarsk entfernt — demonstrierten Anfang Dezember 250 Umweltsch?tzer in der Baikal-Stadt Irkutsk gegen die Atom-Importe aus Deutschland und die Pl?ne der russischen Regierung, das Chemiekombinat von Angarsk zur internationalen Uran-Anreicherungsfabrik auszubauen.

Das nach Russland gelieferte Uranhexafluorid stammt aus einer Anreicherungsanlage im westf?lischen Gronau, wo es als Arbeitsmedium bei der Anreicherung eingesetzt wird. Von dem in Angarsk angelieferten Uranhexafluorid w?rden nur zehn Prozent als angereichertes Uran wieder zur?ck nach Deutschland geschickt, erkl?rt Wladimir Slivjak. Der Rest lagere in Angarsk. Russland, so der Umweltsch?tzer, bekomme f?r die Lagerung keinen Cent.

Uranhexafluorid ist nach Angaben der Urenco, dem Betreiber der Anreicherungsanlage in Gronau, nur schwach radioaktiv. Nach Meinung des Unternehmens handelt es sich bei dem Material nicht um atomaren Abfall, sondern um einen „Wertstoff» — eine Klassifizierung, mit der das Unternehmen deutschen und russischen Umweltsch?tzern zufolge das russische Importverbot f?r Atomm?ll umgehe.

W?hrend Umweltsch?tzer am Baikal-See gegen Uran-Importe aus Deutschland protestieren, loben die ?kologen im nordrussischen Murmansk die deutsche Hilfe bei der Entsorgung von ausgemusterten Atom-U-Booten. Im Juli dieses Jahres wurde in der Sajda-Bucht unter Anwesenheit von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos der erste vollst?ndig von Deutschland finanzierte Bauabschnitt einer Langzeit-Lagerst?tte f?r die Reaktoreinheiten von 120 ausgemusterten Atom-U-Booten eingeweiht. Auf einem bewachten Platz werden die bis zu zehn Meter hohen Reaktoren — ohne Brennst?be — und andere strahlende ?berreste der Atom-U-Boote gelagert. Der Aufbau der Entsorgungs-Infrastruktur von der Werft bis zum Reaktor-Lagerplatz wurde von Deutschland mit 300 Millionen Dollar unterst?tzt. Die Sajda-Bucht, 60 Kilometer n?rdlich von Murmansk gelegen, gilt als gr??te Atomm?llhalde der Welt, als „Tschernobyl des Nordens». Dort rosten zahlreiche atomgetriebene Eisbrecher, Kriegsschiffe, U-Boote und ausgeschlachtete Reaktoren vor sich hin.

Insgesamt 197 atomgetriebene U-Boote hat Russland bisher au?er Dienst gestellt, 145 Atom-U-Boote wurden bisher entsorgt. Die Brennst?be werden in das zentralrussische Atomzentrum Majak gebracht, die U-Boote zerlegt. Von offizieller russischer Seite rechnet man damit, dass pro Jahr zehn bis zwanzig U-Boote entsorgt werden k?nnen. Die Entsorgung der radioaktiven Altlasten in der Sajda-Bucht werde noch ?ber zehn Jahre dauern, meint Sergej Schaworonki von der Umweltschutzorganisation Bellona. Au?er den U-Booten m?ssten noch 50 Schiffe entsorgt werden, welche die U-Boote mit radioaktivem Brennstoff versorgten. Au?erdem m?ssten die radioaktiv verseuchten H?fen gereinigt werden.

Zur Hilfe aus dem Ausland gibt es jedoch auch skeptische Stimmen. Der bekannte Umweltsch?tzer Aleksandr Nikitin bem?ngelt, dass man keinen Einblick in die Unterlagen habe. Ein Teil der Gelder aus Deutschland w?rden von russischen Beamten unterschlagen, bef?rchtet er.

MDZ    2006-12-18                                                                 

Autor: Ulrich Heyden